Psychologie des Designs
Im ersten Teil dieser Serie (Post vom 13.06.25) haben wir uns angesehen, wie sich das User Centered Design (UCD) von der agilen Arbeitsweise unterscheidet und wie beide dennoch voneinander profitieren können.
Nun richten wir den Fokus auf das UCD selbst: Heute geht es um die Psychologie des Designs. Wir wollen die Frage beantworten, welche psychologischen Faktoren die Gestaltung von nutzerfreundlichen Produkten beeinflussen.
Aber warum ist die psychologische Perspektive im UCD so wichtig?
Weil die Wahrnehmung und Nutzung eines Produkts nicht objektiv erfolgt. Menschen erleben digitale Produkte unterschiedlich, je nach ihren Erwartungen, Emotionen und Erfahrungen. Wer psychologische Erkenntnisse in die Entwicklung einfließen lässt, kann Produkte schaffen, die angenehmer und effektiver genutzt werden können.
Schauen wir uns einige zentrale psychologische Prinzipien an, die beim UCD berücksichtigt werden sollten:
Wahrnehmung
Unsere Wahrnehmung basiert auf zwei Prozessen: Der Top-Down-Modulation (gesteuert durch Wissen und Erwartungen) und dem Bottom-Up-Processing (Datenverarbeitung der Sinneseindrücke). So ist es uns beispielsweise möglich einen Hund, den wir sehen (Bottom-Up) auch als diesen einzuordnen (Top-Down).
Das Gehirn vergleicht dabei fortlaufend seine Erwartungen mit den tatsächlich empfangenen Sinnesdaten. Stimmt dies nicht überein, wird die Wahrnehmung angepasst. Das bedeutet, die wahrgenommene Welt ist immer die aktuell beste Annahme für die Erklärung der Sinneseindrücke.
Psychologie des Designs
Design-Tipps:
- Berücksichtige Gestaltungsprinzipien, um Informationen optimal zu organisieren.
- Nutze z.B. Kontraste, Farben, Größe und Helligkeit, um relevante Inhalte hervorzuheben.
- Achte darauf, dass das Design die Erwartungen der Nutzer unterstützt, um Irritationen zu vermeiden.
Aufmerksamkeit
Die menschliche Aufmerksamkeit wird oft mit einem Scheinwerfer verglichen:
Wir können unsere Aufmerksamkeit ausrichten und fokussieren bzw. erweitern. Wir können sie verschieben bzw. wechseln. Und wir können unsere Aufmerksamkeit teilen. Doch unsere Aufmerksamkeit ist eine begrenzte Ressource, die sowohl von Reizen als auch kognitiven Faktoren beeinflusst wird. Daher können Ablenkungen oder irrelevante Reize dazu führen, dass wichtige Inhalte übersehen werden.
Design-Tipps:
- Setze visuelle Hierarchien ein, um Nutzer gezielt durch eine Anwendung zu führen.
- Vermeide unnötige Ablenkungen, insbesondere bei kritischen Interaktionen.
- Berücksichtige, dass Nutzer sich nicht immer voll auf eine App oder Website konzentrieren – halte Interfaces simpel und übersichtlich. Hier ein Negativbeispiel.
Gedächtnis und Lernen
Wir brauchen unser Gedächtnis, um Informationen repräsentieren zu können, die nicht mehr vorhanden sind.
Dabei wird in der Psychologie vor allem zwischen dem Arbeits- und dem Langzeitgedächtnis unterschieden. Das Arbeitsgedächtnis nimmt Information schnell auf, kann aber nur wenige Informationen für eine kurze Zeitspanne (7 ± 2 Einheiten für ca. 30 Sekunden) speichern. Es ist somit für die Speicherung von Information für wenige Sekunden, die Verarbeitung von Information und das Lenken der Aufmerksamkeit verantwortlich.
Das Langzeitgedächtnis nimmt Information langsam auf, speichert diese aber langfristig mit beinahe unlimitierter Speicherkapazität. Es hilft uns dabei, Bewegungen auszuführen, Pläne für die Zukunft zu erinnern, gelernte Fakten wiederzugeben und Ereignisse bzw. Gefühle wieder zu erleben.
Das Wiederholen von Informationen führt dazu, dass diese erlernt werden. Gleichzeitig sorgt sie dafür, dass das Vergessen abgemildert wird. Dabei ist der Lernprozess zu Beginn sehr effizient. Das bedeutet, wir können uns anfänglich in kurzer Zeit und mit vergleichsmäßig wenig Aufwand viel Wissen aneignen. Jedoch erreichen wir schnell unseren Sättigungspunkt und unsere Lernkurve flacht ab. Das Geheimnis liegt daher in der Kontinuität: Informationen, die kontinuierlich wiederholt werden, festigen sich.
Interessant ist hierbei zudem, dass die Ursache von Gedächtnisproblemen in den meisten Fällen beim Informationsabruf und nicht bei der Speicherung der Information liegt. Gewisse Cues (Orte, Gerüche, Geräusche etc.) können dabei helfen, den Zugang zu Informationen im Langzeitgedächtnis zu finden.
Design-Tipps:
- Reduziere die kognitive Belastung: Halte Interaktionen einfach und vermeide es, Nutzende zu viele Informationen auf einmal merken zu lassen.
- Setze Wiederholung und Konsistenz ein, um das Erlernen von Bedienmustern zu erleichtern.
- Nutze visuelle und auditive Hinweise (Cues), um den Abruf von Informationen zu erleichtern.
Motivation und Emotion
Motivation entsteht aus zwei Grundtendenzen: Erfolg suchen und Misserfolg vermeiden. Beide aktivieren und lenken menschliches Verhalten und sind für die Auswahl von Handlungen verantwortlich. Ziel ist in beiden Fällen die Bedürfnisbefriedigung.
Emotionen spielen dabei eine zentrale Rolle, da sie oftmals der Auslöser für bestimmte Motivationen sind und beeinflussen, wie wir eine Erfahrung bewerten.
Design-Tipps:
- Identifiziere durch User Research, welche Bedürfnisse Nutzende wirklich haben und entwickle Lösungen, die diese Bedürfnisse adressieren.
- Nutze Design Thinking, um Produkte zu gestalten, die über rein funktionale Aspekte hinausgehen und emotionale Bindungen erzeugen.
- Schaffe positive Nutzungserlebnisse durch ansprechendes Design und reibungslose Interaktionen.
Fazit: Psychologie als Grundlage nutzerzentrierter Produktentwicklung
Psychologische Prinzipien sind essenziell, um digitale Produkte zu entwickeln, die nicht nur funktional sind, sondern auch positive Emotionen hervorrufen. Besonders im Bereich von Apps und Websites ist es wichtig, Nutzererwartungen zu verstehen, visuelle Hierarchien gezielt einzusetzen und die kognitiven Einschränkungen der Nutzenden zu berücksichtigen.
Durch den bewussten Einsatz von Wahrnehmungsprinzipien, Aufmerksamkeitssteuerung, Gedächtnisoptimierung und motivierenden Elementen kann das Nutzungserlebnis erheblich verbessert werden. Wer das UCD mit psychologischen Erkenntnissen kombiniert, schafft Produkte, die sich natürlich in den Alltag der Nutzenden integrieren – und damit nachhaltigen Erfolg haben.
Und wie gehen wir bei TBO damit um?
Wir sind uns bewusst, dass die Erwartungen, Bedürfnisse und Erfahrungen von Nutzenden sehr unterschiedlich sein können. Um erfolgreiche Produkte zu entwickeln, nutzen wir daher zu Beginn des Prozesses die User Research, um das Produkt, den Markt und die Nutzenden umfassend zu verstehen. Die Erkenntnisse, die wir daraus gewinnen, fließen in die Designkonzepte unseres Produktes ein.
Um unsere Konzepte validieren zu können, führen wir User Tests (meistens mit einem Prototypen) durch. Die gewonnenen Einblicke werden dann in die weitere Entwicklung des Produktes eingearbeitet. Somit können wir sicherstellen, dass wir Besonderheiten in der menschlichen Wahrnehmung, unserer Aufmerksamkeit, des menschlichen Gedächtnisses und des Lernens sowie der Motivation und der Emotionen von Anfang an mitdenken.
Doch was genau sollte ein User Test beinhalten? Und wer eignet sich als „User“? Diese Fragen wollen im nächsten Teil unserer Serie beantworten. Bis dann!
Quelle:
Carbon, C.-C. (2019). Psychology of Design. Design Science, 5, e26. doi:10.1017/dsj.2019.25